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Ryudai Takano

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    © Ryudai Takano, Courtesay of Yumiko Chiba Associates

Ryudai Takano (* 1963 in Fukui, Japan), lebt und arbeitet in Tokio. Die Serie “In my Room“ entstand zwischen 2002 und 2005. 2006 wurde Ryudai Takano mit dem renommierten Kimura Ihei Commemorative Photography Award ausgezeichnet.

Der Japaner beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen nach Sexualität, der Gender-Identität und Intimität. Er ist einer der wenigen japanischen Fotografen, der früh begann, farbige Portäts zu fotografieren; in seinen Fotografien (unter anderem in der Serie „In my Room“) zeigt er Bilder von Menschen, die in Japan immer noch eher unauffällig leben und nicht sichtbar sind. Takano trifft sie in seinem täglichen Leben und hat sie zu sich eingeladen, um im geschützten Raum seines Studios behutsame Porträts zu machen. In den Räumen von BRUCH & DALLAS reagiert er auf die halb-öffentliche, halb-private Situation des Ortes.

 

Interview mit Ryudai Takano

 

Wie verstehst du deine Arbeit im Kontext des Festivalthemas?

Denkt man an den Begriff „Nation“, haben viele Menschen ein Bild von einem festgelegten Staat im Kopf, der in der Neuzeit gegründet wurde – was man eine „moderne Nation“ nennt. Zu der Zeit, als das Volk eine Nation beherrschte. Wie auch immer, vor der Neuzeit war Gott der Souverän in Zeiten der Theokratie. Ich vermute, dass Souveränität auf die Erde herab ging, als die Neuzeit begann. Demokratie und Kapitalismus sind aus dem Bewusstsein heraus entstanden, dass die Menschheit die führende Rolle spielt. Jedoch wurde durch die Expansion des Kapitalismus die Grundlage der staatlichen Existenzen ungewisser. Natürlich muss man auch die Flüchtlingskrise und den ständigen Terror erwähnen. Jedes System, dass in der heutigen Gesellschaft gegründet wurde, steht an dem Rande des Zusammenbruchs. Mitten in dieser turbulenten Welt voller massiver Veränderungen, fühle ich mich sehr klein. Ich würde mich aber gerne um diese kleine Präsenz kümmern.

Als es während des großen Erdbeben in Ost-Japan zu dem Nuklearunfall kam, wurde mir äußerst bewusst, dass die Menschheit arrogant genug ist um zu denken, sie könne etwas mit diesem enormen Ausmaß kontrollieren. In der modernen Zeit haben die Menschen noch schneller, noch distanzierter und in noch höherer Anzahl, nach Dingen gesucht. Indes denke ich, der Unfall in Fukushima war von Menschenhand verschuldet und er deckte auf, dass deren Verlangen an eine Obergrenze gelangt ist. Davon abgesehen haben die Politiker und Ökonomen, die ihren Erfolg in der rücksichtslosen Expansionspolitik beibehalten wollen, versucht den schrecklichen Unfall unbeachtet zu lassen. Deren Gedankengut interessiert sich nicht für den menschlichen Körper. Diese Menschen denken, es wäre es wert, unzählige Dinge in einer Geschwindigkeit durchzuführen, die über die physikalischen Möglichkeiten hinaus geht und von keinem Menschen jemals erreicht werden könnte. Sie ignorieren den menschlichen Körper, denn das Fortbestehen ihrer Zahlen ist alles was für sie zählt. Der Schmerz und das Leid anderer ist ihnen gleichgültig. Alles soll so durchgeführt werden, wie sie es gerade möchten. Als das Produkt was sie haben wollten (das Atomkraftwerk) in Wirklichkeit zusammenbrach, waren wir es, die unter der enormen Tragödie leiden mussten, welche so verheerend war, dass es nicht möglich war einen Verantwortlichen zu finden. In Japan hat bis heute niemand Verantwortung für den Unfall getragen.

Wir können nicht wegtreten oder unseren Körper verlassen. Des Weiteren ist es unmöglich dem Moment zu entfliehen. Wir können nicht in die Vergangenheit oder Zukunft fliegen. Ich möchte aber über die Welt mit diesem Körper nachdenken, der so unbequem und als Einheit so winzig ist.

Dann ist das Geschlecht eines der wesentlichen Objekte für uns.

Glaubst du, es gibt verschiedene Auffassungen von privat und öffentlich in Deutschland und Japan?

Ich weiß nicht so viel über Deutschland aber ich wage zu behaupten, dass die Unterschiede von Öffentlich und Privat in Japan mehrdeutiger sind als in Deutschland. Denn, wenn wir uns unterhalten und „öffentlich“ sagen wollen, benutzen wir meistens das englische Wort „public“ dafür. Ein Wort aus einer Fremdsprache komplett zu übernehmen, zeigt, dass wir in unserer Sprache kein Equivalent dafür haben. Natürlich haben wir das Wort „kouteki“ was „öffentlich“ bedeutet. Jedoch ist es eher literarisch und wenn man es sagt, fühlt es sich zu stark, zu schwer oder auch zu kalt an. Genauso verhält es sich mit dem Wort für „privat“. Wir übernehmen „privat“ auch komplett aus dem Englischen. Zufälligerweise entsteht durch unserer Bevölkerung ein japanisches Englisch. Sie hängen „na“ an das Ende von englischen Wörtern, so wie „privat-na“, um „privat“ auszudrücken. Ich glaube, „privat-na“ ist beliebter und gängiger als „public-na“.

Von daher befinden wir uns in einer Situation, in der sich ein Equivalent für „öffentlich“ im Alltäglichen noch nicht verbreitet hat. Das Konzept auf das „öffentlich“ verweist ist in unserer Gesellschaft nicht bekannt. Insofern vermute ich, dass das Konzept von „öffentlich“ und „privat“ in Deutschland durchaus klarer ist.

Ist Sexualität nur eine private Angelegenheit?

Sexualität entsteht aus der Begierde für andere. Ich denke, dass sogar Anime-Charaktere zu Objekten wie andere werden können. Sexualität kann nicht ohne eine Beziehung zu jemand anderes außer mir existieren. Wenn sich zwei Menschen zusammentun, entsteht eine Gesellschaft.

Ein weiteres Beispiel. In Japan war die Sexualität zwischen Männern nie ein Tabu, bis sich das Land vor 150 Jahren der Welt öffnete. Es wurde öffentlich ausgelebt. Nicht nur von den normalen Leuten, auch von den Herrschergenerationen. In dieser Zeit gab es wahrscheinlich keine konkrete Vorstellung von Homo- oder Heterosexualität. Die Samurais hatten eine sexuelle Beziehung zu ihren Meistern, um deren Verbindung zu stärken. Eine Frau heirateten sie, um Nachkommen zu hinterlassen. Das war ganz normal. Ein erfolgreicher Roman (“Tokaidochu-Hiza-Kurige”) für die gewöhnlichen Leute des 19. Jahrhunderts war eine Komödie, in der zwei Männer zusammen auf eine Reise gingen. Tatsächlich liefen die beiden weg, um zusammen durchzubrennen. Dann kommt jedoch die Szene, in der einer der beiden Männer inmitten der Reise versucht, eine Affäre mit einer Frau zu haben. Daher kann man sagen, dass beide Beziehungen zu dieser Zeit als normal angesehen wurden.

Allerdings verurteilten die Weststaatler die nach Japans Öffnung kamen, die männlichen Prostituierten auf den Straßen als unzivilisiert. Die Meiji Regierung verließ schnell Gesetze, die die männliche Prostitution verbot. Höchstwahrscheinlich war dies der Grund, warum sich in Japan ein Bewusstsein dafür entwickelte, zwischen Heterosexualität und Homosexualität zu unterscheiden. Somit wurde ein neuer Standpunkt eingeführt: Eine sexuelle Beziehung zu dem gleichen Geschlecht zu haben ist ungewöhnlich und findetauf einer völlig verschiedenen Ebene als eine Beziehung zu dem anderen Geschlecht statt. Eventuell ist ein erniedrigender „homo“-Begriff entstanden, welcher die Trennung von Homosexualität und Heterosexualität noch weiter vorantrieb. Wenn heutzutage ein Mann in einer Fernsehserie oder einem Film behauptet, „ich bin ein Mann“, dann ist die sexuelle (und dominante) Beziehung zu einer Frau unweigerlich impliziert. Eine Frage wie, „was bin ich?“ kann nicht ohne das Element der Sexualität beantwortet werden. Demnach lässt sich gut verstehen, welchen Einfluss die Gesellschaft auf unser Sexualleben hat.

Homo- und Bisexuelle werden als sexuelle Minderheit bezeichnet. Aber wie viele Menschen gibt es, die wirklich von sich behaupten können „absolut heterosexuell“ zu sein?! Könnte man das Bewusstsein von jemand bis ins Detail aufdecken, würde man bei ihm oder ihr sicherlich gemischte Vorlieben finden. Ich glaube, wir alle leben und besitzen verschiedene sexuelle Bewusstseins. In diesem Sinne denke ich nicht, dass es in sexueller Hinsicht eine Mehrheit gibt. Ich denke eher, dass der Begriff „sexuelle Minderheit“ so etwas wie „sexuelle Mehrheit“ hervorgebracht hat, was im Vorfeld gar nicht vorgesehen war.

Sexuelle Vorlieben sind meiner Meinung nach nicht eindeutig. Das kann schon bei dem Verhalten von Primaten beobachtet werden. Nichtsdestotrotz, werden menschliche Wesen in ihrer Entwicklung gezwungen sich zu entscheiden, wozu sie gehören wollen.Mit dem sozialen Druck konfrontiert, werden sie zu einem Teil der gesellschaftlichen Mehrheit.

Was würde mit ihren sexuellen Bedürfnissen passieren, wenn sie unterdrückt werden würden? Das Bewusstsein würde sicherlich wachsen, sich von denen abzusondern, die außerhalb des mehrheitlichen Rahmens stehen.

Auf diese Weise schließe ich ab, dass Sexualität eben nicht nur eine private Angelegenheit ist, sondern tief in unseren sozialen Themen verwurzelt ist.

Und welche Rolle spielt Fotografie im Bezug zu diesen Fragen?

Etwas „zu sehen“ und etwas „zu betrachten“ sind komplett verschiedene Dinge. In unserem Alltag verschwinden die meisten Dinge nachdem sie sichtbar wurden, ohne gefühlt zu werden. Fotografien können diesen Moment der eigentlich verschwunden wäre, nachdrücklich einfrieren. Menschen werden dazu geleitet eine Fotografie mit dem Gedanken zu betrachten, dass der gezeigte Moment mit vollem Bewusstsein (oder soll ich sagen, mit Absicht) aufgenommen wurde. Durch die Verbindung des Moments mit der Absicht, kann das Medium namens Fotografie die ganze Welt repräsentieren.

Sprache kann nur anhand eines strengen Systems formuliert werden; die Grammatik. Doch im Falle der Fotografie, nimmt die Kamera die Rolle der Grammatik ein (indem sie optisch die Bilder formt), sodass sich ein Fotograf viel gefühlvoller ausdrücken kann. Diese Empfindsamkeit lässt das vielleicht „unbewusste“ Bewusstsein des Fotografen in seinen Fotografien (Bildern) zum Vorschein treten. Ich denke es ist möglich die Welt auf Grundlage ihrer Körperlichkeit darzustellen, indem man aber auch das Unbewusste mit einbezieht.

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